Wer wohnt in einer ?Wortburg?, ?am Walde gar?? Der Künstler Micha Brendel, er gibt einer seiner neuen Arbeiten den zitierten Titel, lebt tatsächlich am Rande eines Waldstücks. Ob Brendel sein Atelier als Burg betrachtet, ist fraglich. Eher begibt er sich in eine Alchimistenküche, die seit circa 2013 auch als Schreibstube fungiert. In jenem Jahr sind die ersten seiner neuen Arbeiten entstanden. Es handelt sich bei ihnen um Schriftbilder im Wortsinne: Brendel arrangiert auf Papier Buchstaben und Schriftreihen zu grafischen Gebilden, zu Innen- und Außenlandschaften. Wer sich die Mühe macht, sie in einem tradierten Sinnzusammenhang lesen zu wollen, könnte sich getäuscht sehen. Ein kleiner Trick, aber doch einer aus leidenschaftlicher Vernunft: Brendel begreift Schrift als eine der ältesten Kulturleistungen der Menschheit. Octavio Paz? Satz ?Mit jeder Sprache, die ausstirbt, wird ein Bild des Menschen ausgelöscht?, möchte er um die Schrift erweitert sehen. Nicht von ungefähr verwendet Brendel historische, nicht-alltägliche Schriften wie jene historischer Urkunden, deren Ästhetik und Haptik er aufgreift. Siegellack, Alterungs- und Verschmutzungsprozesse gehören zu seinem spielerischen Minimalismus unbedingt dazu.
Brendel geht dabei nach einer sehr alten Technik vor. ?Man nehme 1 Maaß Bieressig und thue 2 Loth zerstoßene Galläpfel hinein, dieses lasse man auf einem Feuer so lange kochen, bis es etwas röthlich geworden ist; nun giebt man 3 Quentchen Eisen-Vitriol dazu und läßt es damit aufwallen, dann nehme man es vom Feuer und gebe gleich 1 Loth arabischen Gummi und 1½ Quentchen Alaun, beides klein gestoßen, dazu, rühre es darnach durcheinander, bis es erkaltet ist, und gieße das Klare in eine Bouteille, aber das Zurückgebliebene schütte weg?, heißt es in der ?Neuen Recept-Sammlung zu schwarzen, rothen, grünen und andern Tinten? eines unbekannten Verfassers von 1830. Ein also regelrecht experimenteller Vorgang, den Brendel aufgreift. Nur sind seine Materialien noch mannigfaltiger: Bienenwachs, Rost und Tee wären da zu nennen. Die chemischen Prozesse, die der Künstler initiiert, können schon einmal zu einem der klassischen Sujets der Malerei führen; zum Meer, das hier eines aus Sprache ist.
Brendels neue Arbeiten erscheinen ganz anders geraten als die organischen Objekte vergangener Jahre, mehrmals zu sehen auch in der Staatsgalerie. Dabei arbeitete er bereits früher mit Schrift. 1996 produzierte Brendel sein Buchunikat ?Des Großen Gelben Kaisers Klassiker der Tiere? nach einer alten chinesischen Enzyklopädie: Aus unterschiedlichen Tierhäuten stellte er 26 Einzelblätter zusammen, deren Buchstaben in einem Beizverfahren entstanden. Eines der Kapitel ist ?Wunderbare und Fabelhafte? überschrieben. Damals arbeitete Brendel mit Pinzette und Skalpell. Jetzt bedient er sich eines filigranen Glasschreibers oder des vergleichsweise massiven Schlagmetalls. Oder aber er greift zum Federkiel, ein Schreibgerät, das zumeist aus Gänsefedern gefertigt wird. In der ägyptischen Mythologie legt die Urgans als Weltenschöpfer das Welten-Ei, aus dem die Sonne, Amon-Re, schlüpft. Eines seiner frühesten Schriftbilder taufte Brendel auf den Namen ?in Spiegel-Ei-Schrift?.
Robert Mießner
Brendel geht dabei nach einer sehr alten Technik vor. ?Man nehme 1 Maaß Bieressig und thue 2 Loth zerstoßene Galläpfel hinein, dieses lasse man auf einem Feuer so lange kochen, bis es etwas röthlich geworden ist; nun giebt man 3 Quentchen Eisen-Vitriol dazu und läßt es damit aufwallen, dann nehme man es vom Feuer und gebe gleich 1 Loth arabischen Gummi und 1½ Quentchen Alaun, beides klein gestoßen, dazu, rühre es darnach durcheinander, bis es erkaltet ist, und gieße das Klare in eine Bouteille, aber das Zurückgebliebene schütte weg?, heißt es in der ?Neuen Recept-Sammlung zu schwarzen, rothen, grünen und andern Tinten? eines unbekannten Verfassers von 1830. Ein also regelrecht experimenteller Vorgang, den Brendel aufgreift. Nur sind seine Materialien noch mannigfaltiger: Bienenwachs, Rost und Tee wären da zu nennen. Die chemischen Prozesse, die der Künstler initiiert, können schon einmal zu einem der klassischen Sujets der Malerei führen; zum Meer, das hier eines aus Sprache ist.
Brendels neue Arbeiten erscheinen ganz anders geraten als die organischen Objekte vergangener Jahre, mehrmals zu sehen auch in der Staatsgalerie. Dabei arbeitete er bereits früher mit Schrift. 1996 produzierte Brendel sein Buchunikat ?Des Großen Gelben Kaisers Klassiker der Tiere? nach einer alten chinesischen Enzyklopädie: Aus unterschiedlichen Tierhäuten stellte er 26 Einzelblätter zusammen, deren Buchstaben in einem Beizverfahren entstanden. Eines der Kapitel ist ?Wunderbare und Fabelhafte? überschrieben. Damals arbeitete Brendel mit Pinzette und Skalpell. Jetzt bedient er sich eines filigranen Glasschreibers oder des vergleichsweise massiven Schlagmetalls. Oder aber er greift zum Federkiel, ein Schreibgerät, das zumeist aus Gänsefedern gefertigt wird. In der ägyptischen Mythologie legt die Urgans als Weltenschöpfer das Welten-Ei, aus dem die Sonne, Amon-Re, schlüpft. Eines seiner frühesten Schriftbilder taufte Brendel auf den Namen ?in Spiegel-Ei-Schrift?.
Robert Mießner