Staatsgalerie Prenzlauer Berg

Der Name ist ein klarer Fall von Amtsanmaßung

Ausstellungen Übersichten Veranstaltungen

2010 Meisterschülerabschluss HGB Leipzig
2007 Diplom Bildende Kunst, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
(Klasse für Fotografie und Klasse für Installation und Raum)
2000 Magisterabschluss Germanistik und Geschichte, Universität Leipzig

2012 6-monatiges Arbeitsstipendium der Kulturstiftung Sachsen
2008 6-monatiges New York Atelierstipendium der Kulturstiftung Sachsen
2007-2010 Meisterschülerstipendium der Heinrich Böll Stiftung
2006 Projektstipendium der Medienstiftung Leipzig
2002-2007 Studienstipendium der Heinrich Böll Stiftung

Weitere Informationen zu Ausstellungen und Werk: http://www.dianaartus.de
Das grundsätzliche Prinzip der Werkgruppe ?Neutral Scenes? beruht auf der Arbeit mit Bildmaterial, das alten Foto-Romanen der 50er-80er Jahre entnommen ist. Ich fand sie in den ver­gangenen zehn Jahren auf Flohmärkten in Spanien, in Frankreich und in der Türkei, das Genre des Fotoro­mans für Erwachsene war vor allem in südeuropäischen Ländern einst sehr beliebt. Die Ge­schichten folgen meist dem immer gleichen Plott: ein Paar findet sich, wird durch widrige Umstände ge­trennt, muss umeinander kämpfen und dann ? Happy End!
Die starke, mit Pathos und stereotypen Gesten aufgeladene Bildsprache dieser Groschenromane, die Standbildsequenzen eines Stummfilms gleichen, hat mich sofort auf ambivalente Weise berührt: Zum einen aufgrund ihrer großen Dramatik und ihrer unfrei­willigen, aber charmanten Komik; zum anderen verbildlichen sich hier längst überwunden geglaubte Kli­schees und Rollenmuster einer vergangenen Epo­che, die noch immer durch das kollektive Unterbewusstsein unserer Zeit spuken. Die Protagonisten dieser Novelas erscheinen mir wie Gespenster, die nicht müde wer­den, in den dunklen Ecken unserer Köpfe ihr absurdes Theater aufzuführen.

Der Titel Neutral Scenes bezieht sich auf eine gleichnamige Übungsmethode aus dem Improvisationstheater: um den Ausdruck von Emotionen zu trainieren, erhalten Schauspieler den Text für eine so genannte ?neutral scene?, die rein inhaltlich meist wenig Sinn ergibt. Diese Szene spielen sie wiederholt in immer anderen Emotionslagen durch, verwenden die gleichen Worte, um teils völlig konträre Stimmungen zu transportieren, die sie allein mit Hilfe von Betonung, Mimik und Gestik ins Spiel bringen.
Ich bin auf diese ?neutral scenes? in der gleichen Weise gestoßen wie auf die Fotonovelas: beim ziellosen Herumstreunen in Städten. Vor einigen Jahren fand ich in einem Café in New York zufällig ein Blatt voll mit Bleistiftnotizen und Kaffeeflecken auf meinem Tisch. Es las sich wie ein seltsamer Monolog (und fand unter diesem Titel Eingang in mein Werk), eine Stichpunktliste für ein Smalltalk-Gespräch oder ähnliches. Irgend­wann sah eine Schauspielerin das Blatt in einer meiner Ausstellungen und rief: ?What a lovely neutral scene!?.

Diana Artus


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In den Neutral Scenes von Diana Artus treten die einzelnen Protagonisten verschiedener, doch ewig gleicher Geschichten voneinander isoliert auf. In den banalen Konstellationen der Fotonovelas werden sie gewissermaßen aus dem Zusammenhang filetiert und neu aufgestellt, die Figuren erfahren eine neue Konfiguration. Als Übermalerin hat die Künstlerin mittels einer radikalen Retusche alle Bildinformationen, die Szenerien und sonstigen Akteure, durch deren komplette Schwärzung "gelöscht". Eine von zumeist zwei handelnden Personen bleibt allein und überhöht als ein frei gestelltes Bild- und Geschichts­fragment zurück ? als ein in seiner ureigensten Bedeutung autonomes Individuum, nicht länger interaktiv, abgetrennt von seinem Gegenüber, seinem Text, seiner kohärenten Geschichte. Diese ganzheitliche Ver­einzelung lässt die Hauptakteure ihrer plötzlichen Geschichtslosigkeit jedoch zugleich in einem höchst dramatikalischen Moment einfrieren und gerade aufgrund ihrer scheinbar so allumfassenden ?Befreiung? zu Gefangenen werden: gefangen in ihren Affekten, gefangen in ihrem persönlichen Gestenreper­toire, gefangen in ihrem Traum von einem Leben im schwarzen Loch. Gesten und Mimiken lösen sich unerwidert auf, sie verhallen als ?Alleinstellungsmerkmale?. In der Sinn-Freiheit ihres Posierens öffnet sich zugleich ein neu­er Zusammenhang, eine andere Form der Narration. Die Novelas wandeln sich vom äußeren Ausdruck eines Fotoromans zu inner Storyboards.

Alle Figuren sind nicht nur abgetrennt, mitunter sind sie amputiert. Sie posieren auf nur einem Bein, ein halber Arm fehlt oder auch ein Teil des Kopfes ? was dem Aufbau und Anschnitt des Originalbildes geschuldet ist. Diese grotesken äußeren Verheerungen spiegeln allerdings geradezu exemplarisch die innere Verwüstung der Figuren wider, sie bleiben Abbilder ihrer Beziehungslosigkeit. Diesen Abbildern gewinnt Diana Artus Ironie, ein gebrochenes Pathos sowie eine entlegene Ästhetik ab, die durchaus surrealistisch zu nennen ist.

Henryk Gericke